Der Leidensweg meine Mutter
Alles begann mit einer harmlosen, erbsengroßen Wunde auf der Ferse. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass meine Mutter seit 28 Jahren Diabetes II – Patientin ist. Sie war medikamentös eingestellt und bei regelmäßigen Kontroll-Untersuchungen im Ambulatorium Floridsdorf. Mich hat schon damals gestört, dass dort weder Nieren – noch Fußinspektionen durchgeführt wurden. Was ich auch nicht wusste, war, dass sie schon unter der „Schaufensterkrankheit“ – nur kurze Gehstrecken ohne Schmerz möglich – litt und sie außerdem den betroffenen Fuß nicht mehr ins Bett nehmen konnte und ihn heraushängen lassen musste.
Also suchten wir im AKH die Angiologie auf, wo eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (PaVK) – also Minderdurchblutung durch verengte Blutgefäße – Stadium II befundet wurde. Es wurde nur ein Verband angelegt und ein weiterer Kontrolltermin vereinbart. Nachdem sich der gesundheitliche Zustand dramatisch verschlechterte, suchten wir vorzeitig wieder den Angiologen auf, da meine Mutter nicht mehr im Bett liegen konnte und von nun ab, nur mehr auf der Sitzgarnitur kurze schmerzfreie Phasen hatte.
Ich hatte mich auf die Konsultation vorbereitet und mich im Internet über das Krankheitsbild eingehend informiert. Auf meine Frage, ob man nicht gefäßerweiternde Infusionen verschreiben wolle, oder eine Gefäßaufdehnung, bzw. eine Bypass OP vornehmen könnte, meinte der Facharzt Dr. Sch....nur lakonisch: “An dieser Stelle ist eine OP nicht möglich, gehen sie, gehen sie, gehen sie !“ Das war wirklich ein toller Ratschlag! Verlangte eine Überweisung zum Diabetologen, der äußerte sich nur mit: „Das schaue ich mir nicht einmal an, sie sind Patient auf der Angiologie!“ Weiterer persönlicher Wunsch, Überweisung auf die Dermatologie, dort wurde eine weitere unbrauchbare Therapie ausprobiert. Nach fünf quälenden Wochen verlangte ich eine Überweisung für den Gefäßchirurgen.
Der Chirurg dort meinte zu meiner Schilderung des Ablaufes bisher nur : „Scheissladen“ und rief Dr. Sch..... an, wieso er meint, dass man da nicht operieren kann, es geht sehr wohl, wenn die Patientin eine 4 Stunden OP vom Herz her aushält! Diese wurde aber, aus Angst meiner Mutter, anlässlich dieser Formulierung vorerst nicht in Betracht gezogen. Wir hatten nämlich zusätzlich das Problem, dass meine Mutter immer schwächer wurde, weil sie durch anhaltendem Durchfall rasch an Gewicht abnahm und an Substanz verlor. Nachdem Stoffwechselstörungen für Diabetiker sehr gefährlich sind, versuchte ich im Floridsdorfer KH rasch eine Darmspiegelung zu erwirken. Auch dort wurde ich zuerst einmal kräftig niedergemacht, was ich mir erlaube, eine rasche Endoskopie zu verlangen!
Seine Vorstellung: „Wenn sie schon monatelang Durchfall hat, kommt es auf die paar Wochen auch nicht mehr an !“ Der auf später verschobene Termin ergab die Diagnose Divertikulose (Ausstülpungen der Darmwand, es wird zu ballaststoffreicher Kost geraten. Weiters lasse ich meiner Mutter bei einem befreundetem Arzt gefäßerweiternde Infusionen verabreichen. Jetzt stellt sich auch ein Taubheitsgefühl im Vorderfuß ein. Wir kontaktieren einen Neurologen der Thioctacid-Infusionen im KH Floridsdorf verschreibt. Dort bekommt sie diese nicht – sondern noch mehr Prostavasin – für bessere Durchblutung ?
Inzwischen hat sich die Fußwunde vergrößert und auch schon fibrinöse Beläge gebildet. Der plastische Chirurg versucht sie mit enzymatischen Salben aufzulösen.
Der Einsatz von mobilen Schwestern bringt auch keinen Erfolg. Wieder bei einem Neurologen, NLG Nervenleitgeschwindigkeitsmessung und Infusionen gegen das Taubheitsgefühl, die Erleichterung bringen, ebenso TENS -transkutane, elektrische Nervenstimulation - zu Hause angewendet. Die Schmerzen müssen schon mit Opiaten behandelt werden und diese wirken auch nur kurzfristig.
Nächster Versuch im KH Hietzing. Durchlaufen wieder Dermatologie, Diabetiker- u. Fußambulanz. Es herrscht weitgehenst Ratlosigkeit. Wir probieren nebenbei eine teure, privat bezahlte Sauerstofftherapie und Eisenpräparate wegen der Anämie. Beides ist für die Wundheilung nötig, wie ich im Internet recherchierte. Dadurch manifestiert sich auch nochmals der Eindruck, dass nur eine Gefäßaufdehnung oder eine Bypass OP meine Mutter vor einer Amputation bewahren kann.
Also begaben wir uns ins KH Hietzing zu einer Angiographie zwecks bildlicher Gefäßdarstellung. Nach dieser Auswertung, ließ ich Mutter auf die Akutliste für eine Bypass OP setzten. Weil sie schon so geschwächt war, habe ich ihr schon Astronauten-Nahrung besorgt. Am Nationalfeiertag 07 schaffte sie es in ihrer Wohnung nicht einmal mehr bis zum WC. Transportierte sie umgehend auf die Gefäßchirurgie und bestand auf die sofortige Aufnahme. Der Not gehorchend bekam sie sogar kurzfristig ein Klassebett, da sonst kein Platz mehr war.
Neben der Bypass OP erbat ich auch eine sofortige Stuhlprobe. Diese ergab eine Anhäufung von gefährlichen Darmkeimen (Clostridium difficile – auch Krankenhauskeim, der bei älteren, geschwächten Personen zu Sepsis führen kann). Durch die Bypass OP und das richtige Antibiotikum gab es erstmals eine deutliche Besserung mit erholsamen Schlafphasen.
Zur allgemeinen Kräftigung brachte ich ihr auch selbstgemachte Hühnersuppe mit indischen Flohsamenschalen – werden bei Reizdarmsyndrom und wässriger Diarrhö erfolgreich eingesetzt – zur sanften Darmpflege, wichtig um wieder essenzielle Nährstoffe aufnehmen zu können.
Der Fuß war nun, dank des erfahrenen Chirurgen, Herrn OA Dr. Alexander Fröschl, gerettet. Jetzt folgte die Bekämpfung der Nekrose (schwarzes, abgestorbenes Gewebe) auf der Ferse. Auf mein Betreiben versuchten die Ärzte auf der Ambulanz, diese mit dem Skalpell – unter Protest und starken Schmerzattacken – zu entfernen. Also suchte ich wieder Rat im Internet und fand den engagierten Chirurgen und Wundheilungsspezialisten Dr. Thomas Wild im AKH. Mit meinen neuen Kenntnissen aus dem WEB als Diskussionsbasis und durch das Vertrauen zu dem, für sein Fachwissen mehrfach ausgezeichneten Mediziners, gelang es durch phasengerechte Behandlung mittels 3-wöchiger Vakuumtherapie und spezieller Wundauflagen, das Trauma nach eineinhalb Jahren zu schließen.
Erstaunlich ist, dass ich Ärzte erst darauf aufmerksam machen musste, vor dem Entfernen der Nekrose ein Lokalanästhetikum aufzutragen, damit der Schmerz dabei erträglicher wird, wieso !? Hätten Ärzte und mobile Schwestern eine bessere Aus- und Weiterbildung und würde die Krankenkasse oft teurere Behandlungen ermöglichen, würde es weniger Amputationen geben, den Kranken viel Leid erspart werden, die Ärzte fänden mehr Zeit für neue Patienten und a la longue könnte sich die Kasse viel Geld sparen. Wir haben Betroffene getroffen, die gehen schon 3 Jahre regelmäßig zur Wundversorgung ins Spital.
Es war wirklich ein unsägliches Martyrium für meine Mutter und nervenaufreibend für mich, sie kauerte wimmernd im Fauteuil und ich konnte als Selbständiger eineinhalb Jahre keine Aufträge annehmen, damit ich sie betreuen konnte. Das Gesundheitssystem ist offenbar reif für eine Reform.